Der literarische Twist von Colson Whiteheads Roman ist, dass er den metaphorischen Begriff »Underground Railroad«, der für ein verborgenes Netzwerk von geheimen Routen, sicheren Unterschlupfen und Unterstützern von auf der Flucht befindlichen Sklaven steht, wörtlich nimmt und zu einem unterirdischen Geflecht aus Schienen, Eisenbahnen und Stationswärtern konkretisiert: Auf der Suche nach Freiheit irrt Protagonistin Cora auf der Strecke von South Carolina nach Indiana, wobei jeder Staat andere Gefahren für sie bereithält. Dabei ist Underground Railroad kein historischer Roman. Seinem Autor geht es nämlich zunächst einmal darum, den Verständnishorizont des Lesers für verschiedene Aspekte der Sklaverei und der amerikanischen Geschichte zu erweitern. Sein Motto lautet: »Halte dich nicht an die Tatsachen, sondern an die Wahrheit.« So verbindet er etwa die Geschichte der Jim Crow Laws, die Genozidpläne der Nazis und Lynchjustiz, um ein Amerika zu entwerfen, in dem diese Momente konsequent zu Ende gedacht werden. In Zeiten, in denen der amerikanische Präsident Donald Trump heißt, hat Whiteheads Roman ungeheuere Aktualität und ist zurecht Träger des Pulitzer Preises 2017.
Cora ist nur eine von unzähligen Schwarzen, die auf den Baumwollplantagen Georgias schlimmer als Tiere behandelt werden. Alle träumen von der Flucht – doch wie und wohin? Da hört Cora von der Underground Railroad, einem geheimen Fluchtnetzwerk für Sklaven. Über eine Falltür gelangt sie in den Untergrund und es beginnt eine atemberaubende Reise, auf der sie Leichendieben, Kopfgeldjägern, obskuren Ärzten, aber auch heldenhaften Bahnhofswärtern begegnet. Jeder Staat, den sie durchquert, hat andere Gesetze, andere Gefahren. Wartet am Ende wirklich die Freiheit? Colson Whiteheads Roman ist eine virtuose Abrechnung damit, was es bedeutete und immer noch bedeutet, schwarz zu sein in Amerika. – Augezeichnet mit dem Pulitzer Prize 2017.