Krimi: Ein Genre mit schmuddeliger Vergangenheit
Sommer in der Stadt. Von der Hitze ermattet sinken wir im Buchladen in die gemütlichen Streifensessel: Christiane reicht mir Wasser. Wir sprechen heute über den Kriminalroman. Christiane Dreiling ist für das Belletristik-Taschenbuch und die Krimi-Abteilung verantwortlich. Ein weites Feld - daher konzentrieren wir uns heute auf Krimis. Christiane erzählt mir von ihren Anfängen damals im Buchhandel, als der Krimi noch als Schmuddelkind galt, als Unterhaltung (leicht näselnd mit steifer Oberlippe gesprochen). Wenige Verlage veröffentlichten Krimis, Diogenes, rororo oder Scherz sind drei davon. Geändert hat sich die Wahrnehmung dieses Genres insbesondere mit Henning Mankell, meint Christiane.
Und heute? Was sind Themen, die aktuell im Krimi verhandelt werden, welche Tendenzen gibt es, welche Empfehlungen gibt uns Christiane mit auf den Weg?
Japan als Krimiland
Wie sehr mancher Roman zwischen Literatur und Krimi changiert, zeigt sich gleich bei 64 von Hideo Yokoyama. Denn auch als ich vor einigen Wochen mit Guido einen Gang durch die Literatur machte, erzählte er mir von diesem Thriller. Ein tiefenscharfes Porträt der japanischen Gesellschaft, heißt es beim Deutschlandfunk. Ein klassischer Krimi ist 64 nicht. Spannend ist das Buch dennoch, auf eine langsame und enorm exakte Weise. Christiane fällt Japan als Krimiland momentan besonders auf. Sie legt mir Geständnisse von Kane Minato hin, ein geradezu gemeiner Krimi, erzählt aus mehreren Perspektiven, ohne Ermittler, aber mit einem schön fiesen Racheplan. Finster und tiefschwarz ist auch Die Maske von Fuminori Nakamura. Auch hier erhält man beim Lesen tiefe Einblicke in das Japan und seine Menschen von Heute.
Krimis (auch) für Nicht-Krimi- Leser
Ohnehin findet man immer wieder Krimis, in denen Gesellschaft und Geschichte auf den Grund gegangen wird: Die Gereon-Rath-Reihe von Volker Kutscher, die Krimis von Oliver Bottini oder die von Mechtild Borrmann. Alles Bücher auch für Nicht-Krimi-Leser, da sind wir uns in unseren Streifensesseln einig. Christiane erzählt, dass von Volker Kutscher und Mechtild Borrmann im Herbst Neues herauskommt. Auch von Fred Vargas kommt ein neues Buch. Und Elizabeth George bringt Vertrautes mit Inspector Lynley - der nunmehr neunzehnte Band.
Schöner reisen
Es gibt diese Tage, an denen man ganz froh ist, wenn man sich in vertraute Gefilde begeben darf.
Neben Kriminalgeschichten mit liebgewonnenen Figuren, die sich, bitte schön, nicht zu ändern haben, sind die heimeligen Urlaubskrimis gerade sehr beliebt. Da schreiben vorzugsweise deutsche Autorinnen und Autoren unter passendem Pseudonym Krimis, die in schönen Urlaubsregionen spielen und in denen gut gegessen, getrunken und gelebt wird. Angenehme und nicht zu aufregende Ferienlektüre.
Da lasse ich mir doch gleich was verschreiben! Christiane gibt mir den ersten Band einer neuen Reihe um Leander Lost: Lost in Fuseta von Gil Ribeiro. Der Krimi spielt in Portugal. Im Mittelpunkt steht ein Kriminalkommissar, der innerhalb eines Austauschprogramms an der Algarve ein Jahr verbringen wird - und sich ungewöhnlich kleidet und verhält. Soviel sei verraten. Gil Ribeiro ist übrigens ebenfalls das Pseudonym eines deutschen Drehbuch- und Romanautors. Dä! Während es hier ferientauglich heimelt, wird es dort hart und brutal: Im Krimi gibt es seit einer geraumen Weile geradezu den Wettbewerb um noch abseitigere Serienmorde, noch bluttriefendere Fälle und noch durchgeknalltere Charaktere. Das Genre des Krimis ist überaus vielfältig.
Macbeth - aber als Thriller
Daneben gibt es nämlich auch so etwas das Hogarth Shakespeare Projekt: „Die Britisch-US amerikanische Hogarth Press hat den 400. Todestag zum Anlass genommen, eine originelle Reihe ins Leben zu rufen: The Hogarth Shakespeare Project. Namhafte Autoren wurden gebeten, Stücke des großen Dramatikers auszuwählen und neu zu erzählen. Dabei wurde ihnen frei gestellt, wie eng sie sich an die Vorlage halten wollten. Bisher haben acht Autoren zugesagt. Ihre Adaptionen werden in 28 Ländern erscheinen, in 21 Sprachen übersetzt werden. Ein interessantes, großes Projekt.“ Schreibt Petra in ihrem Blog LiteraturReich. Und in diesem Projekt erscheint demnächst Jo Nesbøs Macbeth. Ein Thriller. Blut wird mit Blut bezahlt.
„Die Unruhen schufen nach einer Weile eine ganz eigenen Ästhetik.“
Der erste Satz. Nicht brutal, aber mit Figuren, die sich entwickeln dürfen, britischem Humor und jüngere Zeitgeschichte im Hintergrund ist die Reihe von Adrian McKinty um Inspector Sean Duffy im Belfast der 80er Jahre. Findet sich auch immer wieder in Christianes monatlichen Buch-Tipps - und, nun, der erste Band reist demnächst mit mir in den Urlaub.
Ein Rezept für gute Freundschaft
Christiane erzählt mir von einer Kundin, die kürzlich fünf Bücher kaufte. Für eine Freundin als Ferienlektüre! Ist das nicht eine ganz wunderbare Idee? Wie oft kommt man vorm Urlaub nicht mehr dazu, sich um die passenden Bücher zu kümmern! Wenn Ihr also über ein Geschenk oder eine Freundlichkeit für Eure Freundinnen oder Freunde nachdenkt ...
Welches Buch darf im Krimi-Regal des Buchladens nicht fehlen?
Christiane überlegt kurz. Dann springt sie auf und zieht dieses Buch heraus: Das finstere Tal von Thomas Willmann. Ein Western in den Alpen in einer altmodischen, wuchtigen Sprache, eine außergewöhnliche und unwiderstehliche Mischung. „Als der Fremde mit seinem Maultier das Hochtal erreichte, lag in der Luft schon der Geruch des ersten Schnees.“
Melanie Raabe am Mittwoch bei uns: Der Schatten
Mein Wasser? Das hatte ich über unser Gespräch ganz vergessen. Trinken wir auf ein Ereignis, das uns diese Woche bevorsteht: Melanie Raabe wird bei uns ihren neuen Krimi Der Schatten vorstellen. Am Mittwoch, den 25. Juli, um 19:30 Uhr wird sie mit COSMO-Moderator Ulrich Noller ihren neuen Krimi vorstellen und daraus lesen. Wir freuen uns sehr auf sie! [Die Lesung ist ausverkauft.]
Buchladenliebe und die Lage der lesenden Nation
In der Reihe #Buchladenliebe sprechen wir regelmäßig mit unseren Kolleginnen und Kollegen aus dem Buchladen über ihre Arbeit. Wir machen gedanklich mit ihnen einen Gang durch ihre Schwerpunktgebiete: Wie ist die Lage der lesenden Nation? Was sind gerade die großen Themen? Welche Bücher und Begebenheiten waren in den letzten Wochen bemerkenswert, welche blieben hängen? Eine kollegiale Plauderei über Dies und Das, aufgezeichnet und nacherzählt von Wibke Ladwig.