Drei Schiffe liefen zwischen 1979 und 1987 unter dem Namen Cap Anamur aus, um über 10.000 Menschen in Seenot zu retten.
Ein Buch, das in diesen Tagen erschien, erinnert an den Menschen, dessen Engagement diese Hilfe möglich machte: Ein Schiff für den Frieden - Das mutige Leben des Rupert Neudeck. Geschrieben hat es Christina Bacher, Nippeserin, Buchladenfreundin, Autorin und Journalistin. Wir trafen uns mit ihr, um über dieses außergewöhnliche Buch zu sprechen, über Rupert Neudeck, aber auch über seine Frau, Christel Neudeck, die sich mit ihrem Mann für andere einsetzte und die Christina Bacher davon erzählte.
Das Buch greift die Stimmung auf, als Rupert als kleiner Junge in Danzig spielte, am liebsten in der Natur, am nahen Strand und beim Onkel auf dem Bauernhof. Es war längst Krieg und die ehemals freie Stadt Danzig zunehmend bedroht, doch das begreift der kleine Rupert erst, als die Familie ihren polnischen Nachnamen ändert und der Vater in den Kriegsdienst muss. 1945 versucht die Mutter mit den vier Kindern, der Schwiegermutter und der Schwester zu fliehen. Knapp verpassen sie die „Wilhelm Gustloff“, die in dieser Nacht von Torpedos getroffen wird und untergeht. Mehr als 9000 Menschen starben in der eiskalten Ostsee. Ein Schiff, das retten sollte und stattdessen den Tod brachte. Ein Fünfjähriger, den dieses Erlebnis tief prägte.
Es folgen Angst, Hunger und die Flucht in den Westen.
„Das war also das, was er damals als Kind mitbekommen hat. Sie sind wieder nach Danzig zurück, wo aber nichts mehr wie vorher war. Die Familie ist teilweise zu Fuß, teilweise mit dem Zug geflohen und kam nach Hagen, hier nach Nordrhein-Westfalen. Der Vater kehrte aus dem Krieg zurück und fand Arbeit als Oberstudienrat. Sie wohnten erst bei einer Familie und waren nicht gut gelitten: in Polen galten sie als die Deutschen, in Deutschland als die Polen. Seine Kindheit und Jugend verbrachte Rupert Neudeck in Schwerte. Später lebte er in Troisdorf bei Köln und zeitweise auch in Köln.“
Auf der Flucht gab es eine Begegnung, die Rupert Neudeck prägte: Die Familie wusste kaum mehr ein noch aus vor Hunger. Sie sammelten Brotkrumen, trockneten sie und lutschten sie gegen das dauerhaft zehrende Gefühl von Hunger und Durst. Sie trafen auf einen Franziskaner, der Rupert ein Brot schenkte, das er unter der Kutte hatte – ein Akt der Barmherzigkeit in der Zeit der Flucht und des Ausgeliefertseins.
„Es gibt nichts Gutes, außer man tut es.“ Erich Kästner
Weder furchtsam noch tollkühn – diese Worte sind dem Nachwort von Christel Neudeck vorangestellt, der Ehefrau von Rupert Neudeck. Ein Satz, der zeitlos ist und mit dem man gut den Tag beginnen kann, an dem man etwas tut, das die Welt im Großen oder im Kleinen ein wenig besser macht.
„Ohne Christel Neudeck ist das Engagement gar nicht denkbar. Sie haben lebenslang, seit sie sich kennengelernt haben, zusammengearbeitet. Rupert ist noch sehr präsent, auch in der Familie.“
Rupert und Christel Neudeck sendeten mit ihrem ehrenamtlichen Team über Jahre hinweg Schiffe an die Krisenherde, etwa ins Südchinesische Meer. Dort hielten sie mit Feldstechern nach kleinen Barken Ausschau, wo sich teilweise 40, 50 Leute gedrängt haben. Rupert Neudeck fischte sie förmlich aus dem Meer, weshalb man ihn damals auch als Menschenfischer bezeichnete. Die Flüchtlinge wurden an Bord medizinisch versorgt, erhielten Essen und Kleidung und man kümmerte sich um sie. Sie kamen zunächst in Auffanglager, nach Malaysia zum Beispiel, um von dort mit dem Flugzeug auch nach Deutschland zu fliegen.
„Christel Neudeck habe ich inzwischen gut kennengelernt, weil sie mir ihr Familienalbum geöffnet hat. Das waren weniger die Fotos, sondern wir haben viel gesprochen und ich durfte die Gespräche auch aufzeichnen. Sie hat mich in ihr Wohnzimmer im Reihenhaus der Familie in Troisdorf eingeladen. Es ist immer noch dasselbe Wohnzimmer, in dem sich damals die Cap Anamur gegründet hat und in dem sich die Vereinsmitglieder getroffen haben, in dem sie diskutiert haben: Wie können wir vorgehen, wo müssen wir helfen?“
Quiche für alle und das Nachwirken von guten Taten bis heute
Legendär, so erzählt Christina Bacher, ist die Quiche von Christel Neudeck, damit alle etwas zu essen hatten, während sie zugleich Anrufe entgegennahm und telefonierte. (Das Rezept ist übrigens im Buch.) Das Gemeinschaftsgefühl muss enorm groß gewesen sein und das gemeinsame Tun stand im Mittelpunkt. Und das alles geschah ehrenamtlich, denn Rupert Neudeck war angestellt und nutzte Urlaubstage und Überstundenausgleich für sein Engagement. Nach wie vor sendet der Verein Cap Anamur / Deutsche Notärzte e.V. Helferinnen und Helfer in die ganze Welt, dorthin, wo Hilfe benötigt wird.
Christina Bacher erzählt bei unserem Gespräch so großartig von dem einzigartigen Ehepaar, von Rupert und Christel Neudeck, als ob sie gleich neben uns säßen. So lebendig werden sie auch im Buch, das von Lukas Ruegenberg illustriert ist. Ein langjähriger Freund der Familie Neudeck, Künstler und Ordensbruder in der Benediktiner-Abtei Maria Laach, dessen Bilder der Ursprung des Buches ist. Christina Bacher kam als Autorin später hinzu. Vielleicht zeigt sich das Nachwirken von Rupert Neudeck besonders schön, als Christina Bacher erzählt, wie Lukas Ruegenberg auf ihre Bitte hin eine Illustration ergänzen sollte. Doch eine Operation stand an und seine Staffelei war fern. Als er seinem Arzt erzählte, dass er aber dringend für das Buch über Rupert Neudeck malen müsste, versprach dieser ihm, dass er nach seiner Operation die Staffelei in seinem Zimmer haben würde. Denn der Arzt war einer der Menschen, die von Rupert Neudeck und der Cap Anamur gerettet worden war. Und er kam dann auch zur Buchpremiere im Bilderbuchmuseum in Troisdorf.
Ein Buch gegen die Ohnmacht, Lesen ist Hoffnung
Es ist ein ganz besonderes Buch, eins für Menschen jeden Alters, ob Kinder, Jugendliche und Erwachsene. Es ist eine Geschichte, die Mut macht, ins Tun zu kommen. Es geht nicht darum, dass jeder mit einem Schiff losfährt, um anderen in Not zu helfen. Es geht auch darum, im Alltag tätig zu werden, um die Welt zu einem lebenswerteren Ort für uns alle zu machen.
Christina Bacher gibt ein gutes Beispiel. So ist sie seit Jahren Chefredakteurin des Kölner Straßenmagazins Draussenseiter, mit deren Verkauf Obdachlose auf den Straßen von Köln etwas Geld verdienen können. In diesen Tagen erscheint eine Ausgabe in Kooperation mit Literaturszene Köln e.V. Das Thema: Lesen ist Hoffnung. Darin gibt es etwa ein Gespräch mit Elke Heidenreich und dem obdachlosen Draussenseiter-Verkäufer Lothar Schmieding, in dem sie über Literatur sprechen und sich, wie Christina Bacher erzählt, lauter Gedichte vorlasen.
Das Heft gibt es auch bei uns im Buchladen, da es momentan niemanden gibt, der es in Nippes verkauft. Und natürlich gibt es das Buch von Christina Bacher mit den Illustrationen von Lukas Rügenberg: Ein Schiff für den Frieden. Auf Wunsch – wie alle Bücher von Christina Bacher – auch signiert.
Wir empfehlen sehr gern auch das Gespräch von Christina Bacher mit Hilde Regeniter im Domradio, in dem man noch etwas mehr über die Entstehung des Buches hört und über den Wert von Vorbildern.