Vor fünf Jahren saßen wir komplett durchgeregnet beim Italiener in der Kölner Südstadt. Rüdiger erzählte mir von seiner Recherchereise für sein neues Buch: „Der Pfad. Die Geschichte einer Flucht in die Freiheit“. Im Oktober dann feierten wir die Buchpremiere im Buchladen. Es war ein schöner und berührender Abend!
Eine Wanderung durch die Pyrenäen: Das klingt herrlich, oder? Aber vor 80 Jahren liefen hier Menschen um ihr Leben, auf der Flucht vor den Nationalsozialisten und der Auslieferung durch das Vichy-Regime. Kinderbuchautor Rüdiger Bertram schrieb ein Buch über einen Jungen, Rolf, und seines Vaters Ludwig, der Journalist in Berlin war: Der Pfad. Ihre Geschichte im Buch beginnt in Marseille.
Als wir uns am Ende des Sommers vor einigen Wochen trafen, nahmen wir im Schatten der Platanen im Agnesviertel Platz. Rüdiger erzählte mir, was alles in der Zwischenzeit mit „Der Pfad“ passierte. Das Buch wurde verfilmt und in diesem Jahr beim Deutschen Filmpreis als Bester Kinderfilm ausgezeichnet. Doch der Reihe nach: Idee und Exposé sind aus dem Februar 2013, erzählte Rüdiger. Eine Drehbuchförderung mit dramaturgischer Beratung ermöglichte nicht nur das Schreiben, sondern auch die Recherchereise ins Grenzgebiet von Frankreich zu Spanien.
Die Recherchereise führte Rüdiger von Marseille nach Banyuls-sur-Mer und nach Cerbère. Die Fluchtroute, auf der auch Walter Benjamin flüchtete, ist als Wanderweg angelegt (Chemin Walter Benjamin) und führt nach Portbou auf die spanische Seite der Pyrenäen. (Den Weg kann man auf dieser Seite nachverfolgen.)
Die Fotos und Erinnerungsstücke von dieser Recherchereise waren nicht nur fürs Schreiben wichtig: Bei Lesungen sehen Kinder, dass das, wovon Rüdiger im Buch erzählt, real ist. So lässt sich ganz anders darüber sprechen, wie es damals war und wie es heute ist.
Eine Lokomotive wird zum Pferd
Rüdiger sprach Produzenten über den Stoff. Eine holländische Produktionsfirma interessierte sich für das Drehbuch. Mit ihren internationalen Erfahrungen waren sie gut geeignet, denn gedreht werden sollte in Spanien. Währenddessen signalisierte der cbj-Verlag, dass sie das Buch veröffentlichen wollen. Sie pflegen traditionell das Thema Nationalsozialismus im Jugendbuch und das passte daher gut. Im Oktober 2017 sollte es dann erscheinen.
Langweilig blieb es nicht: Der Filmproduzent für „Der Pfad“, Daniel Ehrenberg, schied aus der Produktionsfirma aus. Er gründete eigene Firma, nahm den Stoff mit – was nicht unüblich ist, so Rüdiger. Und das Projekt nahm Fahrt auf. Mit Tobias Wiemann kam ein Regisseur an Bord, Jytte-Merle Böhrnsen, seine Frau, wurde Co-Autorin des Drehbuches. Alle zusammen glaubten an Idee und Umsetzung. Über 2-3 Jahre hinweg arbeitete das Team in familiärer Atmosphäre miteinander am Filmstoff.
Gemeinsam wurden Änderungen beschlossen: So wurde aus Manuel, dem Jungen, der Rolf auf seiner Flucht über die Berge hilft, im Film ein Mädchen. Aber bloß keine Liebesgeschichte, darin waren sich alle einig. Traumsequenzen kamen hinzu, in denen der Vater bis zum Ende des Films immer wieder auftaucht. Womit Rücksicht genommen wurde auf die Erwartungen der Zuschauer*innen, die möglicherweise wegen des Schauspielers den Film ansahen, der den Vater spielt und der im Buch nur am Anfang dabei ist. Mit einer Lokomotive über die Pyrenäen? Für den wurde nicht nur aus Kostengründen die Lokomotive gegen ein Pferd ausgetauscht, was im Film auch das Zeigen unbeschwerter Momente ermöglichte.
Ein entscheidender Einschnitt war, als Warner Brothers in das Projekt einstieg. Der bekannteste Kinderstar Deutschlands, Julius Weckauf, wurde für die Jungenrolle verpflichtet. Die Mädchenrolle übernahm Nonna Cardoner, die kein Deutsch sprach und alle Sätze auswendig gelernt hatte.
Die Verfilmung rückte näher, das Team wuchs, der Autor wurde, so Rüdiger, „zum fernen Onkel“. Der Stoff entwuchs ihm und wurde erwachsen. Pandemiebedingt war die Anwesenheit bei den Dreharbeiten für Rüdiger dann leider nicht möglich. Bei einer Szene zum Schluss (die so nicht im Buch ist) waren dann aber Rüdiger und seine Tochter dabei. Als Statisten spielten sie Auswanderer bei ihrer Ankunft in Ellis Island, inklusive sorgfältig von der Maskenbildnerin verpasstem Dreck unter den Fingernägeln und Asche auf den Haaren.
Auf dem roten Teppich bei Deutschen Filmpreis
Zum Kinostart wurde die Verbindung wieder enger, doch dann die traurige Nachricht: Die Pandemie verunmöglichte eine Premierenfeier zum Kinostart. Stattdessen gab es aber einen Kinobesuch mit Kolleg*innen aus Köln der Kinder- und Jugendbuchszene, der vom Zusammenhalt und dem zugewandten Interesse aneinander zeugt. Ruhm und Ehre brachte dann die Auszeichnung beim Deutschen Filmpreis: Bester Kinderfilm – Dunnerlittchen!
Die Freude war dann überraschend gelassen, denn alle Beteiligten waren bereits mitten in neuen Projekten. Die Anerkennung und der Film selbst sind aber sehr hilfreich, denn das Buch wird längst als Schullektüre eingesetzt. Der Film ermöglicht nun bei den vielen Veranstaltungen etwa in Schulen und Bibliotheken, über Unterschiede zwischen Buch und Film zu sprechen und in Sachen Medienkunde hinzuzulernen.
Rüdiger ist ohnehin ein produktiver und vielseitiger Kinderbuchautor. Aber er hat auch wieder ordentlich Lust auf Drehbuch: drei neue Drehbücher sind in Arbeit. Zwei davon haben bereits eine Drehbuchförderung erhalten, eins ist schon konkreter in der Umsetzung.
Wir wünschen ihm viel Freude und viel Erfolg damit und freuen uns auf alles, was da kommt.
Bis bald im Buchladen, Rüdiger!
Tipp für Köln: Am 30. Oktober wird der Film gezeigt
Am Sonntag gibt es die Gelegenheit, sich im Filmforum NRW im Museum Ludwig den Film anzusehen. Der Film wird um 16 Uhr gezeigt. Anschließend gibt es ein Filmgespräch mit Drehbuchautor und ifs-Absolvent Rüdiger Bertram, moderiert von Horst-Peter Koll (Filmjournalist und Kurator). Eintritt frei!