„Ohne Social Media gäbe es den Buchladen vielleicht nicht mehr.“
Dorothee Junck ist Inhaberin des Buchladens. Jetzt gerade nippt sie nachdenklich an ihrem Kaffee, denn ich fragte sie, was sich in den letzten zehn Jahren ihrer Wahrnehmung nach verändert hat: Im Buchladen, in der Straße, in Nippes. 2007 übernahm sie mit ihrem Bruder die Buchhandlung im Kölner Norden. Seitdem ist vieles im Umbruch, ob im Buchmarkt, im Einzelhandel, in der Stadt, in der Gesellschaft.
Der Buchladen Neusser Straße steht für engagierte und gelebte Nachbarschaft. Ob im Alltag oder bei den ganz unterschiedlichen Veranstaltungen gibt es zahlreiche Anlässe, gleichgesinnten Menschen zu begegnen. Um den Buchladen und Dorothee herum hat sich ein familiär geprägtes Netzwerk entwickelt. Die Liebe zum Buch und zum Lesen wird im Buchladen gelebt. Was man auch den bisherigen Gesprächen mit Mitarbeiter*innen des Buchladens hier im Blog recht gut entnehmen kann.
Doch im Vergleich stand das Buch gesellschaftlich vor zehn Jahren mehr im Fokus. Neben TV und Radio hatte es einen gleichberechtigten Stellenwert. Inzwischen hat die Medienvielfalt wie auch die Medienpräsenz im Alltag deutlich zugenommen. Die Mediennutzung hat sich verändert: Inhalte wie Serien oder Podcasts sind durch Streaming jederzeit abrufbar, Familie und Freunde dank Smartphone und Social Media immer dabei. Das Leben sei außerdem enger durchgetaktet, hört Dorothee im Gespräch mit den Menschen im Laden. Selbst Freizeit ist häufig strikt durchorganisiert. Wieviel Raum bleibt fürs Lesen? Wieviel Muße bleibt, um den Geschäften im eigenen Viertel einen Besuch abzustatten?
Raus ins Veedel, rein in den Laden
Die Kundenfrequenz im Laden hat in den letzten zehn Jahren abgenommen. Den Status quo zu halten, sei wesentlich anstrengender geworden, erzählt Dorothee. Lamentieren ist ihre Sache nicht. Stattdessen ist sie beständig auf der Suche nach Ideen, wie sie Menschen fürs Lesen, für Bücher, für den Buchladen, für den unabhängigen Buch- und Einzelhandel, für ihre Straße und fürs Viertel interessieren oder begeistern kann. Und so tauschen beispielsweise momentan jeden Samstagmittag ab 12 Uhr Fußballfans Sammelbildchen, in den Ferien werden Kinder mithilfe von Autorin Christina Bacher zu Veedelsschreibern, Autorin Melanie Raabe stellt ihren neuesten Krimi vor und im Hintergrund laufen schon die Vorbereitungen für den nächsten und nunmehr siebten Blauen Abend in Nippes.
Vernetzung macht stark
Gemeinsam mit einer anderen Einzelhändlerin aus dem Viertel im Kölner Norden rief Dorothee 2012 zum ersten Mal den Blauen Abend ins Leben. Einmal im Jahr erstrahlt Nippes in Blau und die Einzelhändler, Lokale, Kirchen und Dienstleister vor Ort öffnen ihre Türen bis 22 Uhr. Viele lassen sich besondere Aktionen und Veranstaltungen vor Ort einfallen. Auf den Straßen gibt es Musik und Impro-Theater. Und die Nippeser identifizieren sich mit ihrem Fest im Veedel: Man sieht immer mehr Menschen, die an diesem Abend Blau tragen und freudig ihr Viertel erkunden. Ein erfreulicher Nebeneffekt: Die Einzelhändler und Dienstleister in Nippes sind nun sehr viel enger miteinander vernetzt und verständigen sich besser über ihre Interessen für ein lebendiges Viertel.
Nachbarschaft gestalten - digital und vor Ort
Für den Buchladen zu denken, das hört nicht an der Ladentür auf. Das Umfeld ist mindestens genauso wichtig, damit die Menschen Anlässe, Anreize und Gründe finden, um aus dem Haus zu gehen und zum Laden zu kommen. Vor diesem Hintergrund fiel auch die Entscheidung, das Ladenlokal neben dem Buchladen zu übernehmen. Dort befindet sich nun schon länger das NEBENAN, wo es ausgesucht Schönes gibt: Papeterie, ein großes Postkarten-Sortiment, hübsche Accessoires für Zuhause und Geschenkartikel. Zum Besuch im Buchladen gehört ein Abstecher nach NEBENAN – und umgekehrt. Umso mehr, seit Wernher im Eingang des NEBENAN fürs leibliche (und seelische) Wohl sorgt.
„Ohne Social Media gäbe es den Buchladen vielleicht nicht mehr.“ Nein, das sei nicht nur so dahingesagt, meint Dorothee. Die digitale Nachbarschaft sei genauso wichtig wie die im direkten Umfeld. Der Buchladen bewirtschaftet nun schon seit einigen Jahren digitale Zweigstellen bei Twitter, Facebook oder Instagram. Natürlich sei es ihr wichtig, das Buchladenleben, das Berufsbild, den Alltag wie auch die besonderen Anlässe im digitalen Raum sichtbar zu machen. Insbesondere auch deshalb, weil es in Köln die Zusammenarbeit mit der Presse wegen Schrumpfung der Redaktionen zunehmend schwierig ist.
Über das Digitale ergeben sich zudem andere Gelegenheiten und Formen der Vernetzung, etwa mit Journalist*innen aus Radio und TV, Autor*innen oder Kolleg*innen aus anderen Städten und Regionen. Mitzubekommen, was andere umtreibt, welche Themen gerade lokal oder gesellschaftlich verhandelt werden und durch Ideen und Aktionen anderer inspiriert zu werden, ist für Dorothee ebenfalls ein wichtiger Punkt. Aber von all dem ganz abgesehen: Mit Social Media stehen neue Bestellkanäle offen, die gern benutzt werden. Dorothee erhält Bestellungen über Direktnachrichten bei Facebook, Twitter und Instagram und WhatsApp. Gut, dafür muss man hin und wieder in Social Media reinschauen. Aber das Telefon holt man auch nicht nur einmal am Morgen raus und stellt es dann bis zum nächsten Tag in den Keller.
Haltung zeigen
Sie erzählt von Kundinnen und Kunden, die in den Laden kommen und sich auf etwas beziehen, dass der Buchladen bei Twitter, Facebook oder Instagram gepostet hatte. Dorothee ist ein Anliegen, dass die Social-Media-Auftritte kein Teleshopping-Kanal für Bücher ist. Viele Nippeser folgen dem Buchladen im Digitalen, weil sie über Buchthemen hinaus etwas von der Kultur im Viertel und vom Stadtleben mitbekommen. Es geht letztlich auch darum, Stellung zu beziehen, solidarisch zu sein, Haltung zu zeigen. Ob es ein gutgelauntes Posting zum Brückentag ist oder ein Fenster zu Meinungsfreiheit: Genau das macht den Buchladen aus. Und eben das ist auch digital miterlebbar und läd zur Identifikation ein. Wie nun auch im Buchladenblog.
„Selten, aber ja!“
So Dorothees Antwort auf meine Frage, ob sie denn selber noch zum Lesen käme. Zuletzt las sie Der Zopf von Laetitia Colombani, war aber nicht ganz vom Buch überzeugt. Beeindruckend fand sie Löwen wecken von Ayelet Gundar-Goshen. Oder Saturday von Ian McEwan. Bücher, die hängenblieben.
Sehr gern liest Dorothee außerdem Biographien. Es ist im Grund kein Wunder, dass die Biografie* von Carola Stern über das Leben von Dorothea Schlegel und ihre literarischen Salons eins von Dorothees Lieblingsbüchern ist. Erinnert der Buchladen doch oft auch an einen solchen Salon.
*Leider vergriffen, lieber Rowohlt Verlag!